Die einen sind mächtig und reich und lassen deshalb zur Unterhaltung die anderen, die arm und ohnmächtig sind, gegeneinander auf Leben und Tod kämpfen: It’s a tale as old as time. Und zwar wortwörtlich, so trägt diese Erzählgrundstruktur im Aarne-Thompson-Uther-Motiv-Index, der sämtliche sich wiederholenden Erzählmuster der Menschheit übersichtlich auflistet, nicht ohne Grund die Nummer 1. Es ist einfach die basalste Erzählung in der Geschichte der Menschheit überhaupt. Während aber Dinge wie der Aarne-Thompson-Uther-Motiv-Index (den ich selbstverständlich nicht gelesen habe) und – seien wir uns mal ehrlich – die gesamte Narratologie, also die Erzähltheorie, naturgemäß nur Narratolog*innen interessiert, gewinnen manche Ausprägungen der alten Tante Deathmatch for Fun doch immer noch unterhaltsame Aspekte ab.
Da hätten wir zunächst einmal die „Ilias“ (13.-7. Jdh. vor unserer Zeitrechnung). Das mit dem Apfel war – seien wir uns mal ehrlich – ein fadenscheiniger Vorwand, um dem Olymp zehn Jahre lang regelmäßiges Premium-Entertaintment zur Primetime zu beschaffen und somit ist die Ilias ein ganz klassischer Aarne-Thompson-Uther Einser. Dank dem Geistesblitz, die Grundstory (Achaier kämpfen gegen Troier zum Gaudium von Hera, Athene und Co.) mit der Nummero 2 von Aarne-Thompson-Uther (=Boy meets Boy) zu kombinieren, ist sie trotz einiger Längen durchaus lesenswert, weil eins sich bei den faden Schlachtszenen immer wieder auf juicy Achilleus/Patroklos-Szenen freuen kann. Das Shipper-Herz lacht, Fanservice wurde in der Antike halt noch großgeschrieben, Ilias = 9/10, gerne wieder!
„Death Watch“ (1980) twistet die bekannte Trope insofern, als dass Romy Schneider nicht gegen andere Menschen kämpft, sondern gegen eine tödliche Krankheit, was im Reality-TV einer Zukunft aus der Sicht von 1980 übertragen wird. Der Film hat zu bieten: Romy Schneider, minutenlange nebelige graue Einstellungen, die allesamt on location in Glasgow gedreht wurden und die Zukunft aus der Sicht von 1980 – was mehr kann ein Film denn noch bieten? Wer damit nicht zufrieden ist, hat das Recht verwirkt, Filme zu schauen!
Auch „Batoru Rowaiaru“ (2000) ist sehr gut, wie schon daran erkannt werden kann, dass er aus dem in ästhetischer Hinsicht besten Jahrzehnt der Menschheit, den 1990ern, stammt. Danach ging es leider in allen möglichen Hinsichten nur mehr steil bergab. Schon bei „The Hunger Games“ (2012-) muss scharf kritisiert werden, dass Peeta keinen shipwürdigen Partner bekommen hat, wo es doch kurz zuvor „Twilight“ mit Jacob/Edward schon so gut vorgemacht hat. Es ist doch nicht so schwierig! Dafür hat Hunger Games immerhin Jennifer Lawrence (das ist nicht wenig!) und überall kann Robert Pattison halt auch nicht mitspielen. Leider!
Eine TV-Serie, bei der Robert Pattison ebenfalls nicht mitspielt (und das ist noch eines der freundlicheren Dinge, die sich darüber sagen lassen), ist „The Squid Game“ (2021, spanischer Verleihtitel: „El Juego dello Callamari Fritti“), eine Art südkoreanisches „Wetten-Dass?“. Der Grundplot ist mal wieder ein klassischer Aarne-Thompson-Uther Einser, doch das ist – wie unsere kurze Rundschau durchs Genre gezeigt hat – ja nicht das Problem (außer bei jeder Folge von „Black Mirror“, aber darum geht es jetzt nicht). Das Problem ist, dass die Nummero 1 des Streaming-Dienstes mit dem Namen „Netflix.com“ (spanisch: „El Rete dellos Peliculos“) so wenig aus der Vorlage macht. Ein schuldengeplagter Spielsüchtiger ist die in Szene Nummero 1 eingeführte Hauptfigur, weshalb er auch alle tödlichen Spiele, die er in Aussicht auf einen großen Geldgewinn zum Gaudium der reichen und mächtigen Zuschauer auf sich nimmt, bis zum Ende überleben wird. So viel zum Thema Spannung. Die üblichen Spielleiter-Knechte haben lustige Uniformen, weshalb sie sich gut für die Memefizierung eignen, was halt 2021 für eine TV-Serie gesetzlich vorgeschrieben ist (Touchpoints: Meme-Vorlage, Grammability). Auf Frauenfiguren musste aus technischen Gründen leider verzichtet werden, weil die Marktforschung von El Rete dellos Peliculos ermittelt hat, dass die nicht interessant genug sind (Touchpoint: Ausschaltimpulse elliminieren). Dafür sind es mal alles keine weißen alten Männer, das muss den Fans, diesen genügsamen Tierchen, doch genügen! Und es hat ja auch allen genügt, weshalb alle Menschen in den reichen Industriestaaten der Welt die Serie auch bereits gesehen haben. Unser Rat kommt daher leider zu spät, aber dennoch: Wir raten ab!
P.S.: Mehr noch als „Il Gioco del Polpo“ selber nerven nur die Schlaumeier, die Thinkpieces darüber schreiben, weshalb „Igra lignja“ eben nicht „kapitalismuskritisch“ ist. Das hat ja auch niemand außer Strohmännern je behauptet. Ja, die einfache 1:1 Abbildung der Welt, in der wir im Spätkapitalismus leben müssen, ist noch keine Aufhebung des Verblendungszusammenhangs, ja no shit, Sherlock! Es lügt sich doch eh niemand selbst in den Sack und glaubt ernsthaft, sich im Fernsehen anzuschauen, wie sich andere Leute anschauen, wie sich wieder andere Leute gegenseitig umbringen, wäre irgendetwas anderes als die älteste Geschichte der Menschheit, die einfach deshalb unterhaltsam ist, weil sie es ist. So wie der beste Gag auch immer bleiben wird: Jemand rutscht auf einer Bananenschale aus. Also schreibt doch lieber Texte über Sachen, die ihr nicht kennt, als über „A Game of Sepia and Cuttlefish“, danke!